10 Tipps für das Führen von Fachgesprächen

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Das Führen von Fachgesprächen stellt für Prüfer immer wieder eine spannende Herausforderung dar. Denn es ist wichtig ist, dass das Fachgespräch ein Gespräch unter Fachleuten ist und keine klassische mündliche Prüfung oder eine einseitige Wissensabfrage. Es geht darum, die Leistungsstärken des Prüflings in den Vordergrund zu stellen, während der Prüfling die fachbezogenen Probleme und deren Lösung aufzeigt, seine Vorgehensweise begründet und die wesentlichen fachlichen Hintergründe erläutert. Das Führen von flüchtigen Prüfungsleistungen ist deshalb für Prüfende so herausfordernd, weil die Antworten von den Prüflingen nicht festgehalten werden und deshalb die Richtigkeit und Plausibilität der Argumentation schon unmittelbar im Gespräch überprüft und eingeschätzt werden müssen.  

Zum Jahresabschluss möchten wir unseren Leserinnen und Lesern, die ehrenamtlich als Prüfer tätig sind, etwas an die Hand geben, um die Fachgespräche im neuen Jahr noch erfolgreicher meistern zu können. Hier unsere 10 Tipps für das Führen von Fachgesprächen:

  1. Berücksichtigen Sie die Besonderheit der Situation

Wichtig ist die Schaffung einer angenehmen Prüfungsatmosphäre. Für die meisten Prüflinge ist das Fachgespräch eine ungewohnte und unangenehme Situation, weshalb wir den Prüflingen durch eine persönliche Vorstellung, etwas Smalltalk zu Beginn oder einem freundlichen Lächeln auch etwas die Angst nehmen können.

 

  1. Aufgabenverteilung im Prüfungsausschuss

Wir empfehlen eine Aufteilung im Prüfungsausschuss um den Anforderungen, welche formal an uns Prüfer gestellt werden, gerecht zu werden. Ein Prüfer führt ein ausführliches Protokoll, eine zweite Person achtet auf die Zeit und die dritte Person im Bunde stellt hauptsächlich die Fragen und ist Ansprechpartner für den Prüfling. Dies bedeutet nicht, dass sich nur eine Person Notizen macht. Auch die anderen beiden Prüfer sollten sich zumindest stichpunktartig ihre Gedanken notieren, was wichtig ist für die spätere Bewertung und ein mögliches Widerspruchsverfahren. Dadurch, dass der Prüfling einen konkreten Ansprechpartner hat, kann er sich auf seinen Gesprächspartner im Fachgespräch besser einstellen und fühlt sich nicht wie in einem „Kreuzverhör“.

  1. Fragen müssen in einem konkreten Zusammenhang zur Aufgabe stehen

In einem Fachgespräch sollten keine Fachfragen gestellt werden, da es ein Gespräch auf Augenhöhe darstellen soll. Dementsprechend basiert das Fachgespräch auf prozessbezogenen Fragen, die die Vorgehensweise, Problemstellungen und Lösungswege in den Vordergrund stellen. Hier kann man sich an der Frage orientieren: Welche Fragen würde ich meinem Kollegen stellen? Denn ihn würden wir nicht fragen, ob er uns die Methode der SWOT-Analyse definieren kann, sondern wie er die aktuelle Strategie des Unternehmens entwickelt hat. Es geht also nicht um das Fachwissen perse, sondern um die richtige Anwendung des Fachwissens.

  1. Nutzen Sie überfachliche Aspekte

Die Abschlussprüfung ist dafür da, die berufliche Handlungsfähigkeit des Prüflings festzustellen. Dazu gehören auch der Überblick des ganzheitlichen Prozesses sowie die Beachtung der Standardberufsbildpositionen / integrativen Berufsbildpositionen. Diese Inhalte sollen während der gesamten Ausbildung vermittelt werden und können deshalb auch in jeder Prüfung – auch im Fachgespräch – mit einbezogen werden. Als Prüfer können sie daher immer auch Fragen zu Themen wie Arbeitsschutz und Sicherheit, Datenschutz oder Nachhaltigkeit einbauen, wenn dies für die gestellte Aufgabe von Relevanz ist.

  1. Beachtung der Taxonomie

Da das Fachgespräch keine einseitige Wissensabfrage ist, ist es wichtig, eine gewisse Tiefe im Gespräch darzustellen. Um zu bewerten, ob der Prüfling auch den ganzheitlichen Prozess verstanden hat bzw. die berufliche Handlungskompetenz während seiner Ausbildung erlangt hat, sollten sich die Fragestellung in den höheren Taxonomie-Stufen bewegen. Fragen wie „Nennen Sie“ oder „Definieren Sie“ sind Fragen aus dem Bereich des Wissens. Im Fachgespräch sollten Anwendungsfragen und Beurteilungsfragen gestellt werden, durch die Zusammenhänge und Vorgehensweisen erklärt oder eingeschätzt werden müssen.

  1. Offene Fragestellungen

Um die Handlungsfähigkeit und den ganzheitlichen Prozess zu erfragen ist es wichtig offene Fragen zu stellen und somit dem Prüfling einen gewissen Handlungsspielraum zu geben. Auf Suggestivfragen, die die erwartete Antwort bereits implizieren, oder Alternativfragen im Sinne von „Entweder – Oder“ sollten vermieden werden. Alternativfragen, die alternative Lösungsstrategien oder andere mögliche Varianten hinterfragen, sind dagegen bestens für Fachgespräche geeignet. Der Prüfling soll in der Lage sein, seine Vorgehensweise zu beschreiben und zu begründen, weshalb die Fragestellung ihm die Möglichkeit geben sollte, ausführlich und in ganzen Sätzen zu antworten.

  1. Orientierung am Prinzip der Vollständigen Handlung

Die Fragen im Fachgespräch sollten sich am Prinzip der vollständigen Handlung orientieren, da dieser Prozess die berufliche Handlungskompetenz widerspiegelt. Stellen Sie Fragen zur Informationsbeschaffung, Planung, Durchführung und Kontrolle der Aufgabe, welche der Prüfling bearbeitet hat. Dadurch können Kenntnisse darüber gewonnen werden, ob der Prüfling den Gesamtzusammenhang der Aufgabe erfassen und darstellen kann. Durch die Orientierung an den vier Stufen der vollständigen Handlung haben Sie zudem auch immer mögliche Fragen in petto, ohne einen Fragenkatalog zu benötigen.

  1. Nachvollziehbare Bewertung und nachvollziehbares Protokollieren

Beim Protokollieren von Prüfungsleistungen sehen Prüfer die größte Herausforderung in den Fachgesprächen. Hierbei ist es zunächst wichtig, Protokollbögen obligatorisch auszufüllen, da sie bei der nachfolgenden Besprechung der Beschlussfassung dienen und ein wichtiges Instrument zur Überprüfung der korrekten Auswertung in einem Widerspruchsverfahren darstellen. Demnach ist das Protokollieren immer wichtig, nicht nur bei nicht bestandenen Prüfungsleistungen oder Notensprüngen. Sie sollten stichpunktartig aber nachvollziehbar protokollieren, sodass es auch für einen Außenstehenden verständlich ist, wie sie zu einer bestimmten Note gekommen sind und weshalb es zu einem Punktabzug kommt.

  1. Impulsgeber bei möglichen Blackouts

Viele Prüflinge haben besonders im Fachgespräch mit Prüfungsangst zu kämpfen. Diese Situationen sind für uns Prüfer selbst eine Herausforderung, weshalb es nützlich ist, einige Tipps in der Hinterhand zu haben, wie man mit individueller Prüfungsangst in der Prüfung umgehen kann. Bieten Sie dem Prüfling einem Perspektivwechsel, in dem Sie ihn auffordern, etwas zu trinken oder kurz am Fenster frische Luft zu schnappen. Beruhigend wirken auch Atemübungen, die den Puls senken. Ein Bonus-Tipp an dieser Stelle: Lassen Sie den Prüfling mit den Zehen wackeln. Dies lenkt die Aufmerksamkeit des Prüflings zu seinem Fuß und fordert die Auflösung seiner Anspannung, wodurch er sich weniger auf das Gedankenkarrussel der Prüfungsangst konzentrieren kann. Die Überraschung führt zu einem starken Perspektivwechsel und möglicherweise auch zu einem lösenden Lachen.

  1. Keine Zeitüberschreitung

Das Wichtigste zum Schluss! Bei der ersten Minute einer Zeitüberschreitung ist die Prüfung aufgrund eines Formfehlers anfechtbar, wodurch einem möglichen Widerspruch eines Prüflings stattgegeben werden würde. Wir beziehen uns an dieser Stelle daher nochmal auf Punkt 2, der Aufgabenverteilung im Prüfungsausschuss, bei der ein Prüfer auf die Zeit achtet. Hier spielt vor allem auch der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Chancengleichheit eine wichtige Rolle. Falls Sie nicht wissen wie lange das Fachgespräch in Ihrem Beruf geprüft wird – diese Information ist in jeder Verordnung aufgeführt.

Mit diesen Tipps wollen wir Ihnen die Arbeit im Prüfungsausschuss erleichtern und Ihnen ein wenig Sicherheit für die folgenden Fachgespräche geben. In diesem Sinne – Viel Erfolg bei der Umsetzung! (J.Dillinger)