Die Anforderungen an die berufliche Ausbildung verändern sich rasant – und damit auch die Rolle der Ausbilder. Während Fachwissen früher im Zentrum stand, rücken heute Kompetenzen ins Blickfeld, die Auszubildende in die Lage versetzen, Herausforderungen eigenständig, verantwortungsvoll und reflektiert zu bewältigen. Es geht nicht mehr nur darum, Wissen zu vermitteln, sondern junge Menschen zu befähigen, dieses Wissen sinnvoll anzuwenden – in einer Arbeitswelt, die von Wandel, Digitalisierung und Unsicherheit geprägt ist.
Als Keynote-Speakerin durfte ich beim Ausbilder meet up der bildungszentrum energie GmbH in Leipzig wertvolle Impulse zu diesem Thema setzen. Gerne möchte ich auch in diesem Newsletter die relevantesten Punkte einer kompetenzorientierten Ausbildung darstellen.
Beginnen müssen wir mit der Frage, was genau macht Kompetenzen eigentlich aus? Und wie kann man sie in der Ausbildung fördern? Kompetenz meint im Kern die Fähigkeit und Bereitschaft, in konkreten Situationen angemessen zu handeln. Sie entsteht aus dem Zusammenspiel von Wissen, Erfahrungen, Fertigkeiten, persönlichen Fähigkeiten und Einstellungen. Das bedeutet, es reicht nicht, wenn jemand „weiß, wie es geht“ – entscheidend ist, dass Auszubildende auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und Handlungen in die Praxis umzusetzen. Ausbildung muss also über die reine Fachlichkeit hinausgehen und die gesamte Persönlichkeit in den Blick nehmen.
In der Praxis heißt das: Neben Fachkompetenz brauchen Auszubildende heute vor allem sogenannte Future Skills. Dazu zählen unter anderem Selbstlernkompetenz, Problemlösefähigkeit, digitale Souveränität, Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie Selbstreflexion. Diese Fähigkeiten lassen sich nicht im klassischen Unterricht „vermitteln“ – sie müssen in echten Situationen erlebt und erprobt werden. Lernprozesse sollten deshalb stärker erfahrungs- und handlungsorientiert gestaltet werden, etwa durch Azubiprojekte, Feedbackgespräche, Aufgaben zur Verinnerlichung der vollständigen Handlung (Information, Planung, Durchführung, Kontrolle) oder einer angemessenen Fehlerkultur.
Diese Umstellung ist auch deshalb notwendig, weil sich die Lebensrealitäten und Werte der jungen Generationen – insbesondere der Generation Z und der heranwachsenden Generation Alpha – aufgrund veränderter Einflussfaktoren stark von früheren unterscheiden. Junge Menschen wünschen sich heute mehr Sinnhaftigkeit, Beteiligung und persönliche Entwicklung. Sie sind mit digitalen Medien aufgewachsen, kommunizieren schnell und multimodal und erwarten Authentizität und Offenheit von ihren Führungspersonen. In starren Strukturen, ohne Gestaltungsspielraum, verlieren sie schnell die Motivation.
Vor diesem Hintergrund verändert sich auch das Selbstverständnis von ausbildenden Fachkräften. Sie sind nicht länger reine Wissensvermittler, sondern Lernprozessbegleiter. Ihre Aufgabe besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Lernen gelingen kann – durch Vertrauen, Orientierung, konstruktives Feedback und die Bereitschaft, Verantwortung zu übergeben. Entscheidend ist dabei die Haltung: Lernprozessbegleitung ist kein Methodenkoffer, sondern ein Perspektivwechsel. Wer Lernende ernst nimmt, lernt selbst weiter – und gestaltet Ausbildung als gemeinsames Entwicklungsfeld.
Ein zentraler Faktor dabei ist die Motivation. Sie entsteht nicht auf Knopfdruck, sondern im Zusammenspiel mit der persönlichen Situation und den gelebten Rahmenbedingungen. Eine Ausbildung, die auf Vertrauen, Anerkennung, transparente Kommunikation und sinnerfüllte Aufgaben setzt, fördert nicht nur Engagement, sondern auch Bindung und Leistungsbereitschaft. Umgekehrt reichen schon kleine Missverständnisse oder fehlende Rückmeldungen, um Auszubildende nachhaltig zu demotivieren.
Was bedeutet das alles für die Zukunft der Ausbildung? Sicher ist: Die Entwicklung geht weiter in Richtung Individualisierung. Lernwege und Aufgaben werden flexibler, digitale Tools gehören selbstverständlich dazu, und die Förderung von sogenannten Future Skills wird ebenso wichtig wie die Vermittlung von Fachinhalten. Erfolgreiche Ausbilder der Zukunft verstehen sich als Coach, Mentor oder Sparringspartner – sie begegnen ihren Azubis auf Augenhöhe und reflektieren regelmäßig die eigene Rolle. Denn eines ist klar: Wer andere begleiten will, muss selbst bereit sein, sich weiterzuentwickeln.
Kompetenzorientierte Ausbildung ist mehr als ein Konzept – sie ist eine Haltung. Eine Einladung, junge Menschen nicht nur auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, sondern sie zu stärken, zu fordern und in ihrer Selbstständigkeit zu fördern. Aus Wissen wird also Handlung. Und das schafft eine Grundlage für Selbstständigkeit, Flexibilität und berufliches Wachstum. Wer diesen Weg mitgeht, gestaltet nicht nur die Ausbildung von morgen, sondern auch die Arbeitswelt der Zukunft. (M. Rivera Campos)