Der Vertrag ist unterschrieben, die Freude über die Zusage ist groß – doch dann herrscht Funkstille. Wochenlang hört der frischgebackene Azubi nichts von seinem künftigen Ausbildungsbetrieb und die anfängliche Euphorie weicht allmählich der Unsicherheit. War die Entscheidung für diese Ausbildung richtig? Hätte ein anderer Weg (etwa weiter Schule oder Studium) besser gepasst? Solche Zweifel sind gefährlich, denn ohne Kontakt zum Unternehmen steigt das Risiko. dass sich junge Leute doch noch umentscheiden. Tatsächlich kann fast die Hälfte aller Betriebe nicht alle Lehrstellen besetzen und die Vertragslösungsquote liegt bei alarmierenden 29,5 %. Immer häufiger kommt es sogar zum „Ghosting“ – angehende Azubis tauchen am ersten Ausbildungstag einfach nicht auf. Gründe gibt es viele: Die Jugendlichen haben oft mehrere Angebote und damit bis zuletzt Alternativen in der Hinterhand, oder es fehlen einfach Bindung und Sicherheit, um bei der Zusage zu bleiben.
Um dem vorzubeugen, setzen immer mehr Unternehmen auf Preboarding. Dieser Begriff bezeichnet die Phase zwischen der Vertragsunterschrift und dem ersten Arbeitstag, die aktiv genutzt wird, um neue Auszubildende willkommen zu heißen und an den Betrieb zu binden. Ein gelungenes Preboarding füllt das Vakuum zwischen „Du bist eingestellt“ und dem Ausbildungsstart mit wertvollem Austausch und Vorbereitung. Gerade im Kontext der Ausbildung – wo die Bewerber meist Schulabgänger sind, denen ein völlig neuer Lebensabschnitt bevorsteht – ist Preboarding entscheidend, um Motivation und Vertrauen aufzubauen und einen Abbruch noch vor dem Start zu verhindern.
Typische Preboarding-Maßnahmen vor Ausbildungsbeginn
Wie lässt sich Preboarding konkret gestalten? Im Folgenden einige bewährte Maßnahmen, die Betriebe zwischen Vertragsunterzeichnung und Ausbildungsstart ergreifen können, um ihre zukünftigen Azubis zu begleiten:
- Regelmäßiger Kontakt und Kommunikation: Begrüßen Sie den neuen Azubi direkt nach Vertragsabschluss mit einer persönlichen Willkommensnachricht und halten Sie den Kontakt. Regelmäßige Updates per E-Mail oder Chat, Glückwünsche (z.B. zum Geburtstag oder Schulabschluss) und kleine Aufmerksamkeiten wie ein Willkommenspaket mit Firmen-T-Shirt zeigen Wertschätzung und erinnern Auszubildende daran, dass man sich auf sie freut.
- Umfassende Information und Orientierung: Stellen Sie wichtige Informationen frühzeitig bereit, um Unsicherheiten abzubauen. Eine Willkommensmappe (digital oder auf Papier) mit allen notwendigen Infos – von Ansprechpartnern und Abläufen am ersten Tag bis hin zu Berufsschulplänen und FAQs – hilft den Neulingen, sich zu orientieren. Auch ein früher Zugriff auf Unternehmensmedien wie das Intranet oder einen Azubi-Newsletter kann sinnvoll sein, damit sich der Azubi schon als Teil des Teams fühlt.
- Einbindung ins Team und die Kultur: Laden Sie künftige Azubis zu Firmenveranstaltungen oder Team-Events ein (Sommerfest, Betriebsausflug etc.), damit sie Kolleginnen und Kollegen sowie das Arbeitsumfeld vorab kennenlernen – so ist am ersten Arbeitstag nicht alles völlig fremd. Auch ein spezieller Kennenlerntag nur für neue Auszubildende ist möglich, ggf. sogar mit Einbeziehung der Eltern. Darüber hinaus können digitale Kanäle genutzt werden: Weisen Sie z.B. auf Ihre Social-Media-Präsenzen hin oder vernetzen Sie sich über LinkedIn/Xing, um dem Azubi zu signalisieren, dass er schon jetzt dazugehört. Ein informeller Chat (etwa eine WhatsApp-Gruppe aller neuen Azubis) oder ein Azubi-Pate aus dem zweiten Lehrjahr helfen ebenfalls, schnell ein Wir-Gefühl zu schaffen.
- Praktische Unterstützung bieten: Viele Schulabgänger stehen vor dem Ausbildungsstart noch vor Herausforderungen – seien es Abschlussprüfungen, ein Umzug in eine andere Stadt oder bürokratische Hürden. Unternehmen, die hier Hilfe anbieten, punkten doppelt: Zum einen reduzieren sie Stress und äußere Hindernisse, zum anderen zeigen sie dem Nachwuchs, dass er dem Betrieb wichtig ist. Denkbar sind z.B. finanzielle Zuschüsse für Nachhilfe oder Lernmaterialen bei anstehenden Prüfungen, aktive Hilfe bei der Wohnungssuche am neuen Arbeitsort oder Beratung zu Versicherungsfragen und anderen Alltagsthemen. Solche Angebote können verhindern, dass ein Azubi aus externen Gründen abspringt, und stärken die Bindung zusätzlich.
Positive Effekte eines gelungenen Preboarding
Ein durchdachtes Preboarding zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus. Motivation und Vorfreude: Neue Azubis, die das Unternehmen und ihre künftigen Kollegen bereits ein wenig kennengelernt haben, starten wesentlich entspannter und mit positiver Erwartung in den ersten Tag – statt mit Nervosität und Bauchschmerzen. Stärkere Bindung: Wer schon vor dem Einstieg echte Wertschätzung und Zugehörigkeit erlebt, fühlt sich dem Arbeitgeber verbunden und wird seltener kurzentschlossen abspringen. Diese früh aufgebaute emotionale Bindung wirkt langfristig – Preboarding führt erfahrungsgemäß zu motivierteren und loyaleren Auszubildenden. Ein reibungsloser Ausbildungsstart: Schließlich sind die neuen Teammitglieder bei Arbeitsbeginn fachlich wie organisatorisch besser vorbereitet. Unklarheiten wurden bereits im Vorfeld beseitigt und der Ausbildungsbeginn wird kein Stolperstart, sondern im Idealfall ein voller Erfolg.
Best Practices: Beispiele aus Unternehmen
Auch in der Praxis zeigen sich vielfältige Ansätze, Preboarding erfolgreich umzusetzen.
- Digitale Plattformen und Azubi-Fit-Programme: Einige prämierte Ausbildungsbetriebe setzen auf innovative Konzepte. So stellen sie ihren künftigen Azubi etwa spezielle Preboarding-Apps zur Verfügung oder organisieren Azubi-Fit-Programme, um die neuen Auszubildenden bereits vor dem Start fachlich und persönlich abzuholen. Solche digitalen Plattformen ermöglichen es den Azubis, sich untereinander zu vernetzen, Informationen abzurufen und früh ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln.
- Kennenlern-Veranstaltungen: Viele Unternehmen veranstalten vor Ausbildungsbeginn einen Azubi-Welcome-Tag oder ähnliche Events. Dabei können die neuen Azubis in lockerer Atmosphäre den Betrieb, ihre Ausbilder und künftigen Kollegen kennenlernen – teilweise werden auch Eltern dazu eingeladen, um das Vertrauen und die Unterstützung im Hintergrund zu stärken. Dieses frühe Kennenlernen sorgt dafür, dass am ersten Arbeitstag bereits ein vertrautes Gefühl vorhanden ist.
- Mentoren und Paten: Eine bewährte Praxis ist es, jedem neuen Azubi frühzeitig einen Buddy bzw. Paten aus einem höheren Lehrjahr zur Seite zu stellen. Dieser steht als persönlicher Ansprechpartner für Fragen bereit und erleichtert die soziale Eingewöhnung – idealerweise trifft man sich schon vor dem offiziellen Start auf einen Kaffee oder virtuell zum Kennenlernen. Durch solch eine Mentorenschaft fühlt sich der Azubi von Anfang an betreut und integriert.
Fazit
Preboarding mag auf den ersten Blick nach zusätzlicher Arbeit klingen, doch es ist im heutigen Ausbildungsmarkt quasi ein Muss. Der Fachkräftemangel ist real, und Unternehmen können es sich nicht leisten, zugesagte Talente vor dem Start wieder zu verlieren. Ein gut gestaltetes Preboarding zeigt Wertschätzung, schafft frühzeitig Bindung und sorgt dafür, dass alle Beteiligten positiv in die Ausbildung starten. Mit vergleichsweise geringem Aufwand lässt sich so sehr viel bewirken – damit der erste Ausbildungstag kein Reinfall, sondern ein voller Erfolg wird. (K. Feuge)